Seit dem 10. März 2017 können in Deutschland Ärzte cannabishaltige Medikamente verschreiben. Konkret: Mit dem Inkrafttreten des „Gesetzes zur Änderung betäubungsmittelrechtlicher und anderer Vorschriften“ dürfen Ärzte aller Fachrichtungen, ausgenommen Tier- und Zahnmediziner, bei schwerwiegenden Krankheiten Arzneimittel mit den Wirkstoffen Dronabinol und Nabilon sowie getrocknete Cannabisblüten und Cannabisblütenextrakte verordnen. Dabei können Cannabisblüten- und extrakte grundsätzlich für jede Indikation verschrieben werden. Voraussetzung sind eine positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf oder auf schwerwiegende Symptome oder dass keine andere dem medizinischen Standard entsprechenden Leistungen zur Verfügung stehen oder deren zu erwartenden Nebenwirkungen dem Patienten unter Berücksichtigung seines Krankheitszustandes nicht zuzumuten sind.
bei Krebs-Chemotherapie
bei multipler Sklerose
bei Krebs- oder HIV/AIDS-Patienten
bei multipler Sklerose, Paraplegie und Epilepsie
Der verschreibende Arzt muss zwingend an einer nicht-interventionellen Begleiterhebung teilnehmen und seinen Patienten vorab darüber in Kenntnis setzen. Vor Beginn der Behandlung muss bei einer kassenärztlichen Verordnung zudem der Patient die Genehmigung eines cannabishaltigen Präparates seiner Krankenkasse einholen. Die Teilnahme an der Studie ist ebenso wie der Antrag Bedingung für die Kostenübernahme der Krankenkasse. Die anonymisierten Daten (Alter, Geschlecht, Diagnose festgehalten als Erkrankung oder Symptomatik), Dauer der Behandlung, bisher durchgeführte Therapien, Gründe für deren Erfolglosigkeit, Gründe für einen Therapieabbruch, Therapiedauer, Nebenwirkungen, Entwicklung der Lebensqualität des Patienten, vorhandene Ausnahmeerlaubnis nach § 3 BMG, Dosis und Wirkung der Therapie, Erfolg der Behandlung, werden der BfArM (Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte) übermittelt. Auf der Homepage der Bundesopiumstelle findet sich ein Informationsblatt über die Begleiterhebung sowie das Zugangsportal der Begleitstudie für Ärzte (www.begleiterhebung.de). Die Dauer der Begleitstudie umfasst fünf Jahre und dient als Entscheidungsgrundlage, ob cannabishaltige Medizin als Regelleistung der gesetzlichen Krankenkasse anerkannt wird. Factsheet: Der Weg des Patienten zum medizinischen Cannabis.
Da der Gesetzestext weder eine genau Indikation für die Verschreibung von Cannabinoiden bennent, noch eindeutig formuliert ist, ist die Studienlage für die Krankenkassen der entscheidende Faktor für eine Genehmigung.
Hier herrscht insgesamt noch eine große Lücke bezüglich wissenschaftlicher Belege über die Wirkung bei den bisher beantragten Krankheitsbildern und Anwendungsgebieten. Es ist daher unabdingbar, kontinuierlich in die Forschung zu investieren, damit nachgewiesen werden kann, in welchen Anwendungsgebieten eine Cannabistherapie wirksam ist.
Anteile der bewilligten Anträge nach Indikationen:
61 % Schmerzen
7 % SAPV
7 % Tumorleiden
7 % Neurologie
3 % ohne Angaben
2 % Psychiatrie
2 % Inappetenz/ Kachexie
2 % Darmerkrankung
2 % ADHS
2 % Tourette-Syndrom
2 % finaler Tumorschmerz
2 % Epilepsie
1 % Depression
1 % Lungenerkrankungen
Quelle: socium | Universität Bremen Mai 2018
Genehmigung und Kostenübernahme gesetzliche Krankenkasse
Das ärztliche Attest sollte im wesentlichen die Punkte des Arztfragebogens ausführen, die den Erfolg einer Cannabistherapie unterstreichen. Neben der diagnostizierten Erkrankung sollte die besondere Schwere aufgezeigt und erklärt werden, warum keine andere anerkannte, dem medizinischen Standard entsprechende Leistung in Frage kommt und die mögliche Verbesserung der Lebensqualität durch die Cannabistherapie begründet werden. Um den Inhalt des Attests zu vervollständigen, sollte im Idealfall durch Studien belegt werden, in welcher Weise Cannabis die Symptomatik beeinflussen kann und welche Sorten und Dosierungen verordnet werden.
Der Arztfragebogen zu Cannabinoiden nach § 31 Abs. 6 SGB V umfasst die persönlichen Daten des Patienten inkl. Versicherungsnummer sowie 10 Fragen. Er wird von den Krankenkassen zur Verfügung gestellt:
siehe Ärztefragebogen der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (PDF-Download).
Die Dosierungsanweisung für Patienten des betreuenden Arztes muss neben der Anschrift und Versicherungsnummer des Patienten, den Behandlungsbeginn und den betreuenden Arzt nennen. Es folgen präzise Angaben zur Dosierung:
Welche Präparate wurden verschrieben?
Extrakt, Kapseln oder Tropfen
Wie lautet die genau Dosierung?
Einzeldosis, maximale Tagesdosis und 4-Wochen Bedarf
Welche Medizinal-Cannabisblüten werden verschrieben?
Auswahl aus der Liste der aktuell zur Verfügung stehenden Sorten
Wie wird die Cannabismedizin angewendet?
Teezubereitung, Inhalation
Wie ist die genaue Dosierung des Cannabis flos?
Einzeldosis, maximale Tagesdosis und 4-Wochen Bedarf
Die Dosierungsanweisung wird abschließend mit Datum, Unterschrift und Arztstempel bestätigt.
Der „Antrag auf Kostenübernahme für Medizinale-Cannabisblüten nach Absatz 6 SGB V“ sollte seitens des Patienten kurz und knapp formuliert sein. Es empfiehlt sich folgender Aufbau des Anschreibens:
Name und Anschrift des Patienten, Anschrift der Krankenkasse und Datum, Betreff, Versicherungsnummer, Anrede, Antrag, Auflistung der beigelegten Unterlagen, Grußformel.
Formulierungsbeispiel:
„Hiermit beantrage ich, dass Sie die Kosten für Medizinal-Cannabisblüten laut Gesetzesänderung vom 10.03.2017, die durch eine Therapie aufgrund meiner schwerwiegenden Erkrankung „Diagnose“ entstehen, übernehmen und mir dies zusichern.
Dem Antrag beigefügt sind ein ärztliches Attest, Untersuchungsergebnisse und Belege der Diagnose sowie die Angaben zur Sorte und Dosierung des cannabishaltigen Medikamentes bzw. Cannabis flos sowie die Kopie des entsprechenden Gesetzeseintrages.“
Vor der ersten Cannabis Verordnung muss der Patient die Kostenübernahme bei seiner Krankenkasse beantragen. Hierfür benötigt er ein ärztliches Attest, den Arztfragebogen zu Cannabinoiden, die Dosierungsanweisung und den Antrag auf Kostenübernahme der Krankenkasse. Diese muss über den Antrag innerhalb von drei, falls der MDK (Medizinischer Dienst der Krankenkassen) zurate gezogen wird, innerhalb von fünf Wochen entscheiden. Erfolgt die Cannabis-Therapie im Rahmen einer ambulanten Palliativversorgung (SAPV nach § 37 b SGB V) beträgt die Genehmigungsfrist drei Tage.
Aufgepasst: Antragsunterlagen für die Nachweisbarkeit als Einschreiben mit Rückschein senden. Grund: Bearbeitet die Krankenkasse den Antrag nicht fristgerecht, kann sich der Patient auf § 13 Abs. 3a Satz 1 STB V berufen. Hier ist gesetzlich bestimmt, dass bei nicht fristgerechter Bearbeitung bzw. Stellungnahme seitens der Kasse die Kosten der Behandlung mit Cannabis als Medizin übernommen werden muss. Die Ablehnungsquote betrug bei 16.000 Anträgen zwischen März und Februar 2018 rund 40 Prozent. Die Ablehnungen erfolgten aufgrund banaler Diagnosen, verfügbarer wirksamer Therapie-Alternativen oder unvollständigen Anträgen. Der Gesetzgeber hat festgelegt, dass die Krankenkasse eine Genehmigung „nur in begründeten“ Ausnahmefällen ablehnen darf (§ 31 Abs.6 Satz 2 SGB V). Bei den drei größten Krankenkasse (AOK, TK und Barmer) beträgt die Genehmigungsrate derzeit 62 – 64 %.
Erfolgt die Verschreibung einer Cannabis-Therapie für einen gesetzlich Versicherten auf Privatrezept, muss keine Genehmigung der GKV (Gesetzliche Krankenversicherung) beantragt werden. Da der Patient die Therapie-Kosten selbst trägt.